Das Shifting-Baseline-Syndrom bezeichnet ein Phänomen verzerrter und eingeschränkter
Wahrnehmung von Wandel. Parallel zur Veränderung von Umweltbedingungen
kommt es dabei zu Verschiebungen und Veränderungen der Referenzpunkte,
die der menschlichen Wahrnehmung beim Bemessen von Wandel dienen.
Wir
wollen in dieser Ausstellung versuchen herauszufinden, ob dem neuen
Zeitalter, geprägt von „Neuen Medien“, ein solch ähnliches Syndrom
zuzuordnen wäre.
Betrifft auch uns eine eingeschränkte Wahrnehmung des Wandels? Kann man sagen: Wie es früher war....?
Ab
23. Juli werden Videoinstallationen, Fotoarbeiten, Malerei,
Soundinstallationen... gezeigt, die uns ein Stück in die Zukunft
begleiten sollen. Einen Blick dorthin woher wir kommen, wohin wir gehen
und wo wir sind.
Stephan Schwarz wird uns noch mit einer
erlesenen Auswahl seiner Plattensammlung beglücken und uns als MadMax
der Jahrtausendwende zurück in die Zukunft schicken.
Das
Symposium Lindabrunn eignet sich besonders gut einen Blick in die
Zukunft zu riskieren... Das Gelände steht auf solidem Fels und man hat
einen Aus- oder Überblick über ein Stückchen Welt und ein Bißchen Ferne.
Für leibliches Wohl ist ausreichend gesorgt. Den Weinstand übernimmt das Weingut Martin Gamp.
Info: VSL - Verein Symposion Lindabrunn Laboratorien experimenteller Kunst und Architektur Labs for experimental Art and Architecture Steinbruchstraße 25 2551 Enzesfeld-Lindabrunn
Vernissage 23. 7. 2016, 19.00 Uhr Ausstellungsdauer 24. 7. - 27. 8. 2016, Sa. und So. von 14:00h bis 19:00h
Bei Birgit Bachmanns Installation «Die dritte Haut» geht es um ein Haus, jedoch nicht im architektonischen Sinne. Derbaukünstlerisch-gestalterische Aspekt bleibt bei ihr ausgeklammert. Ausgangspunkt zum Thema «Haus» ist für die Künstlerin vielmehr die Häuslichkeit als zentrales Merkmal menschlicher Existenz.
Denn für Bachmann ist ein Haus viel mehr als nur eine praktisch nutzbare architektonische Hülle, es geht um Utopien und um existenzielle Befindlichkeiten. Das im Außenbereich aufgestellte Haus steht im Grunde als Allegorie für die menschliche Befindlichkeit, das Haus stellt die dritte Haut des Menschen dar. Diese Rauminstallation symbolisiert die Sehnsucht nach Sicherheit, nach Geborgenheit und nach dem Behaustsein. Gleichzeitig deutet dieses Konstrukt auch darauf hin, wie zerbrechlich und ambivalent die vermeintlichen Systeme und die sogenannten «Sicherheiten» sind. Verlässt man den (für die meisten Menschen) geschützen mitteleuropäischen Raum, so wird schnell deutlich, wie filigran die Sicherheit eines eigenen Heims ist. Ein Heim, ein Haus, eine Haut, die schützt und in die man sich zurückziehen kann ist für viele keine Selbstverständlichkeit, allzuoft nicht einmal ein Möglichkeit. Künstler haben schon immer wieder utopische Visionen artikuliert und phantastische Gebilde geschaffen. Ohne Utopie sei der Mensch ein Lebewesen ohne Transzendenz, schrieb einst Max Frisch. Bachmanns «Flugsamen», die gezeichneten Bilder auf den Häusern, enthalten im Grunde ihre Utopie: die 25 kleinen Häuser, die mit den Giebeln nach unten in unterschiedlichen Höhen hängen, sind «noch nicht angekommen», sie sind im Samen-Stadium begriffen, sie sind noch auf dem Wege. Diese «Flugsamen» haben noch keine Wurzeln geschlagen, haben noch keinen Platz zum Wachsen gefunden, sie hängen wortwörtlich in der Luft… Häuser befinden sich gewöhnlich an einem ganz konkreten Ort, haben einen Topos, diese «Flugsamen»- Häuser sind jedoch a-topisch und utopisch zugleich. In ihnen widerspiegelt sich die Hoffnung und die Lebensenergie der Künstlerin aus Gmünd, die ihre Arbeit folgendermaßen untermauert: «Viele Menschen sind unterwegs, auf der Flucht – und immer noch zu vielen gelingt es nicht einmal ihre ‹erste Haut›, das Leben, zu retten.» Und viele weitere bemühen sich verzweifelt mit ihrer Haut das eigene Leben zu retten – sich zu verkaufen, um etwa eine Überfahrt zu bezahlen, die Kinder zu ernähren, die Daheimgebliebenen zu versorgen. In der Tat geht Birgit Bachmann vieles, was heute in der Welt passiert, «unter die Haut», denn Migration, der Blick zu und der Wechsel in andere Gesellschaften ist ein großes Thema für sie; das viel zu wenig Aufmerksamkeit erhält, abseits von Schlagzeilen über ertrunkene, auffällige oder abgeschobene Migranten.
Die Buntstiftzeichnungen auf Papier, die diese fliegenden Häuser wie eine Epidermis umfassen, sowie auch die groß angelegten Zeichnungen, beweisen einmal mehr das große grafische Können der Künstlerin. Die ausgestellten Bahnen (Zeichnungen auf Transparentpapier) ergeben ein großes Kartoffelfeld. Es handelt sich um Inverszeichnungen von Kartoffeln unter der Erde, gesehen aus der Maulwurfperspektive. Die Kartoffel ist ein Leitmotiv in der Kunst von van Gogh bis Sigmar Polke. Oft wird sie als Sinnbild für Nahrung, Überleben und für ein bescheidenes Dasein verwendet (siehe: van Goghs «Kartoffelesser»), taucht aber immer wieder auch mit anderen Konnotationen auf. Sie beflügelte Dichter, Denker, Maler und Zeichner. Auch Birgit Bachmann hat ihren «Kartoffelacker» geschaffen. Für sie ist die Kartoffel weniger als Grundnahrungsmittel, das es in unseren Breitengraden ja ist, von Bedeutung, sie ist viel mehr ein Symbol für Migration, für die Auflösung von Grenzen und ein Beweis dafür, wie wichtig es ist, andere Kulturen zu kennen und zu respektieren. Die Odyssee der Kartoffelpflanze, die es im 16. Jahrhundert von Südamerika über die Kanarischen Inseln nach Spanien geschafft hat, ist die Geschichte einer Migration anderer Art. Sie ist ein Sinnbild für Ein-, Aus-, Zu- und Abwanderung.
________________ SOFIA GOSCINSKI
Altar/Antisocial
Ein klassischer Flügelalter, ein religiöses Symbol des
Christentums, doch statt ein figuratives Szenario zu offenbaren,
eröffnet er eine schwarze, glänzende Leere ergänzt mit dem Spiegelbild
des Betrachters. Er selbst tritt an die Stelle der Heiligkeit. Der
Glaube an eine höhere Macht scheint verloren, allein ist der Narziss mit
seinem Spiegelbild. Eine Metapher auf eine Gesellschaft, süchtig danach
die Welt mit Selfies zu fluten. Egal wo, egal wann, das Selbstbildnis
muss gepostet, geliked und geteilt werden. Ob bei der Nahrungsaufnahme,
vor dem Hintergrund der Pyramiden, der Niagarafälle, des Doms am
Hauptplatz der besuchten Stadt, küssend, lächelnd, die Sehenswürdigkeit
auf der Handfläche, der sich ablichtende beherrscht das Bild und die
Welt tritt als Kulisse in den Hintergrund. Wie schnell der Narzissmus
überhand genommen hat, zeigt diese Gesellschaft beherrscht von
Selbstdarstellung. Der Renaissancegedanke der Mensch sei das Zentrum der
Welt hat mit Hilfe der "sozialen" Netzwerke seinen Zenit erreicht.
Führt diese Entwicklung nicht unausweichlich zu einer antisozialen Verhaltensform? Sind
soziale Netzwerke nicht vielleicht der Nährboden für eine Gesellschaft,
die mit nichts anderem beschäftig ist, als sich selbst permanent und im
besten Licht darzustellen? Kann man heutzutage noch an die Geschichte
glauben, die jeder einzelne in unzähligen Bildern und Videoclips
behauptet erlebt zu haben, oder an die Persönlichkeit, das präsentierte
Profil auf Facebook, Twitter, Instagram, Tinder und den vielen weiteren
Möglichkeiten sich so darzustellen wie man gerne sein möchte aber
definitiv nicht ist?
Diese Fragen stehen dem Altar gegenüber. Krakelig geritzte
Oberfläche eines super high gloss Fotopapiers, wie es in
Hochglanzmagazinen und zu Werbezwecken und in diesem Sinne zur
Verfälschung und Entfremdung verwendet wird. Auch hier wieder gähnendes,
schwarzes hochglänzendes Nichts, dass den Betrachter spiegelt, bis auf
die verletzen, aufgekratzten Stellen, die der Oberfläche ihre Perfektion
rauben und das Selbstbildnis durch den Begriff Antisocial Personality
Disorder in einen zweifelhaften Kontext rücken.
______________ OLIVIER HÖLZL
Videoinstallation
Bedächtig stapelt der selbst-ernannte „Furious Pete“ Cheeseburger, um
Cookie, um Chicken Nugget übereinander, um schlussendlich vor einem
regelrechten Burger-Turm zu stehen zu kommen. In unter fünf Minuten
verschlingt er über 5000 Kalorien; ein Essen, das er zuvor für 15
US-Dollar via Gegensprechanlage bei McDrive geordert hat. Nach
erfolgreichem Verzehr bittet er sein Publikum – die YouTube-Community –
das Video zu liken oder ihm Ideen für neue Herausforderungen zu senden.
Mit dem Aufruf „Stay sexy, stay hungry, get laid!“ beschließt er seinen
Beitrag.
Die Bilder, die auf Furious Pete’s YouTube-Kanal gezeigt
werden, sind fern jeglicher Alltagsrealität. Der offensichtlich
fitness- und körperbewusste, durchtrainierte und braungebräunte junge
Mann verschlingt innerhalb kürzester Zeit einen wahrhaften „Berg“ an
Nahrung alleinig zur Unterhaltung seines Publikums. Vorrangig ist das
Extreme, die Übersteigerung, die Überschreitung.
In Olivier Hölzls Installation „Sane is boring,“ die in der Jan
Arnold Gallery gezeigt wird, sind zwölf Videoscreens in Rasterformation
angeordnet. Eine Hälfte der Monitore zeigt Video Stills, die der
Künstler von YouTube-Beiträgen gemacht hat. Die anderen Screens spielen
nacheinander ausgewählte Videos von der Plattform ab. Wie online, wo
eine Reihenfolge als „Empfehlung“ automatisch generiert wird, führt auch
hier ein Video zum nächsten. Hölzl durchbricht jedoch diesen digitalen
Algorithmus. Durch seine Auswahl forciert er den Blick auf bestimmte
Motive und Themen. Dabei macht er deutlich, wie wenige Klicks zwischen
einem Video über das fetischhafte Formen des eigenen Körpers und einem
zur spaßhaften Zerstörung eines Iphones – dem Kultprodukt schlechthin –
liegen. Vom Wettkampf Burger-Fressen zu Waffenschießübungen auf Torten
zeigt er die Absurditäten und Fetische unserer Konsumgesellschaft auf.
Was die Sujets von Körper, Essen, bis hin zu Waffen eint, ist eine
gemeinsame visuelle Sprache und Ästhetik, die von einem anonymen
Publikum global verstanden und konsumiert werden kann.
Durch Selektion und Gegenüberstellung steckt Hölzl ein Feld ab,
das die Ränder und Extreme unserer Gesellschaft markiert. Denn die
Videos zeigen keine „normalen“ Situationen; sie wurden geschaffen, um
Aufsehen zu erregen. Hölzls Choreografie gibt eine Ahnung von den schier
endlosen, undurchsichtigen Weiten dieser virtuellen Welt, die unser
Alltags- und Konsumverhalten immer mehr zu bestimmen scheinen. Die
Mitteilung und Botschaft von Inhalten erfolgt über Bilder, deren
Verbreitung horizontal und flächendeckend erfolgt. Das visuelle Medium
löst hierbei zunehmend die Schrift als primären Informationsträger ab.
Auch im Galerieraum findet sich der Betrachter einer Bilder-Wand
gegenüber. Die einzelnen Monitore wechseln sich dabei zwischen Videos
und Stills ab. Manchmal startet ein Video und gibt eine Geschichte
wieder; manchmal bleibt das Bild unverändert und unbewegt und der
Betrachter wartet vergeblich auf ein lustiges, schockierendes oder
befremdliches Video. Die Lesbarkeit ist aber stets gegeben. Selbst
angesichts zwölf Monitore sind wir es gewohnt, mit dieser Bilderflut
umzugehen und sie zu verarbeiten. Der digitale „Kanal“ wird zum
ungefilterten allgemeinen Sprach-Rohr, das wir rezipieren. „Sane is
boring“ kündet bereits im Titel an, dass „normal,“ „bei Verstand“ sein,
hier nicht mehr gefragt ist. Erst das stete Weiter, Höher, Länger und
vor allem Härter wird von einer anonymen Masse wahrgenommen und gesehen –
oder eben geliked.
Text: Kristina Schrei
Sprühfarbe auf Medium
Eine Cloud an Elektro-Müll. Alte und defekte Geräte, die nicht mehr
reperiert werden wollen sammeln sich zu unvorstellbaren Massen.
Unausdenkbare Massen an Daten sammeln sich in der Cloud, im Netz, daheim
am Rechner. Unantastbar. Aus dem Auge aus dem Sinn? Reicht ein Klick um
eine Erinnerung wieder herzustellen? Oder landet sie mit den alten
Geräten am Müll?
_______________ ANDREAS NADER
The Thin Line
Wahrnehmung- und Orientierungsverschiebung aufgrund von neuen
Technologien ist Ausgangspunkt der Arbeit. Landkarten werden durch
Navigationssysteme ersetzt.
Dadurch entsteht eine andere Art der Lesbarkeit. Die Landkarte als
abstrakte Grafiken. Organische Formen als Muster ohne Größenrelation
fordern die Vorstellungskraft der BetrachterInnen.
_______________ ANDREW RINKHY
Der Versuch zu verstehen was im anbrechenden Zeitalter von Internet
und Robotisierung auf individueller und zwischenmenschlicher Ebene aus
dem Menschen wird – neben zahlreichen Vorteilen, Probleme mit denen die
Menschheit nie zuvor konfrontiert war.
Was werden Menschen in einer Welt ohne Arbeit tun? Welchen Einfluss wird implantierte Technologie auf menschliche Interaktionen haben? Werden Berührungen für Sex noch nötig sein? Werden Gefühle noch im Unterbewusstsein gebildet?